christian lorenz müller
auftragswerk des buzz'25
Von morgens bis mittags auf dem Obertrumer Meer
Keinen besseren Ort zum Einwassern gibt es in Obertrum als den Skaterplatz – zumindest dann nicht, wenn es vorher wochenlang geregnet hat. Wir brauchten die Boote nur vom Autodach zu nehmen, sie an zwei Wellen aus Beton vorbeizutragen und auf die Wasserwiese zu setzen, die gleich neben dem Platz begann. Das Nass stand uns halb bis zum Knie, es hatte einen Morgenglanz, der fast schon künstlich wirkte, so, als wäre Frischhaltefolie über das Gras gezogen worden. Als wir uns in die Kajaks setzten, kamen sie mir vor wie Messer, die diese Folie durchschnitten.
Seltsam war es, über eine Wiese, auf der sich sonst die Hunde jagen, hinzugleiten, seltsam, über einem Kiesweg zu schweben, der für einen Spaziergang gemacht ist. Am Eigentümlichsten fühlte ich mich aber, als ich mich, durch Schilfbüschel gleitend, dem Schifffahrtssteg näherte. Normalerweise liegen ja Boote auf dem Grund, Yachten oder Dampfer, hier war ein ganzer Steg untergegangen. Junge Fische flohen blitzend durch die Bretter des Geländers, auf dem sonst die Möwen sitzen. Was, fragte ich mich, wenn das Wasser weiter stieg, wenn es sich über andere Weisen breitete, über Straßen und Gärten, über Autos und Häuser? Würde mir das Flachdach des Supermarkts, in dem ich bei der Herfahrt Brot und Käse gekauft hatte, dann vorkommen wie eine geröllige Hallig, würde der Kirchturm von Obertrum mir zu einem Leuchtturm werden, der Lichtsignale aussendete, statt seine Glocken zu schlagen?
Auf dem See war es so septemberstill, als sei die Katastrophe bereits geschehen, als hätte das Hochwasser die Menschen schon für immer hinauf ins Hügelige gedrängt. Der Himmel spannte sich mit muskulösem Blau von einem Ufer zum anderen. Eine Buche streute rot ihr Laub ins Wasser; zackige kleine Wellen wurden zu einem Rechen und warfen die Blätter zurück ans Land.
Auf den Stufen der Seebühne blitze die Sonne; flirrig war ihr Widerschein auf den Wellen. Bald wurde uns so warm, dass wir die Paddeljacken auszogen. Mit Seeham im Rücken, glitt Rudi forsch voraus und steuerte mitten hinein in die Vogelschutzbucht, er hatte das Verbotsschild übersehen. Während er das Ufer abfuhr, schwappte mein Boot wartend neben der Landzunge, die die Bucht vom offenen Wasser scheidet. Auch sie lag vollkommen im Nassen, nur das Schilf lispelte noch über den leichten Wellengang hinaus. Von Rudi aufgeschreckt, kreiste eine Rohrweihe über dem See. Schmalflügeliger als der Bussard durchzieht sie den Himmel, und die Unterseite ihrer Schwingen leuchten weitgehend weiß. Beim Männchen sind die langen Endfedern der Flügel schwarz, was den Vogel aussehen lässt, als hätte er Handschuhe angezogen.
Wellenspiele
Stramm stand das Schilf bis zur Durchfahrt in den Mattseer Ozean. Wir schlüpften unter der Brücke hindurch und hielten uns links, bis wir zu einem Ufer kamen, das Ferienmenschen verhüttelt hatten. Überall eckten Hecken und Zäune, und die Fensterscheiben zwinkerten in der Mittagssonne. Dort gab es einen Steg, der kein Steg mehr war – das Hochwasser hatte ihn in ein Floß verwandelt, auf das wir, hungrig, stiegen. Im römischen Stil auf unsere Isomatten gestreckt, zerkrachten wir den frischen Brotlaib, den ich gekauft hatte, zwischen unseren Zähnen und aßen Käse dazu und Äpfel von einem Baum in Rudis Garten. Als wir satt waren, nahmen wir Sonnenstrahlen als Zahnstocher, dann legten wir uns gänzlich nieder und nickten ein.
Nichts fehlte uns: Kein Kaffeeautomat und keine Restaurantterrasse, kein Steuerruder und keine Yacht, keine Vergangenheit und keine Zukunft. Wir treiben auf dem Floß der Gegenwart dahin: wir waren Gerettete.
Viele andere Stege gab es in dieser Gegend, viele andere Flöße, aber niemand saß darauf. Der Nachmittag schaukelte still auf dem See und ließ seine Stunden ins Wasserglitzern baumeln. Gab es überhaupt noch Menschen? Vielleicht waren sie ja wirklich vor der Überschwemmung hinauf auf die Hügel geflohen.
Nach der Pause kamen wir an das Südufer das Mattseer Ozeans, dorthin, wo der alte Buchenwald die Hänge herabsteigt und bis hinein ins Feuchte wurzelt. Die kleinen Hütten, die es dort gibt, standen nicht wie sonst vier oder fünf Meter von der Wasserkante entfernt. Wer nur hatte sie so nahe an den See gerückt, wer wollte aus den Türen, von den Terrassen direkt ins Nasse springen, wo doch sämtliche Menschen das Weite gesucht hatten? Und wer hatte die vielen Sessel so platziert, dass ihre Sitzflächen allesamt mit einer dicken Wasserpolsterung versehen waren? Auf einem Tisch, der seine Platte gerade noch ins Trockene zu spreizen vermochte, standen zwei Bierflaschen. Im Vorbeifahren griff ich mir eine davon und merkte, dass sie voll war bis zum Rand: Ein grünhopfig riechendes Regenwassergebräu, das ich mir lieber nicht zu Gemüte führte.
Dialog von Wind und Meer
Früher Nachmittag war es, als der Mattseer Kirchturm zu uns herüberglänzte. Der Marktflecken, der sonst so fest auf seiner Landzuge steht, schien aus der Ferne gesehen ins Schwimmen geraten zu sein. Wenn das Wasser noch einmal um einen Meter anstieg, würde der Ortskern sich unweigerlich vom Untergrund ablösen, und wenn dann noch Wind aufkam, trieb der Markt auf das Obertrumer Meer hinaus, ein steinernes Boot, das irgendwo bei Seeham stranden würde, wenn es nicht jemanden gab, der Haustüren als Paddel benutzte und den Kirchturm mit allen verfügbaren Fetzen und Fahnen besegelte. Die Motoryachten, die jetzt schläfrig im Hafen lagen, mussten von jemandem gesteuert werden, wenn sie den Markt wieder an seinen angestammten Ort zurückschleppen sollten, um ihn glücklich am Schlossfelsen zu vertäuen wie an einem Poller.
Rudi und ich ließen den ausgestorbenen Ort hinter uns. Bald glitten wir am Strandbad entlang. Dort stand ein glatzköpfiger Mann in einem orangen Bademantel auf der gefluteten Liegewiese und starrte meditierend auf den See hinaus. Handelte es sich etwa um einen buddhistischen Mönch, der in dem breiten, tempelartigen Jugendstilbau eine amphibische Klostergemeinschaft gründen wollte? Einziges Zeichen der längst vergangenen Sommerzeit war ein Bikini-Unterteil, das vom Sprungturm wimpelte. Der Turm selbst stand bis zu den Knöcheln im Wasser, er sah zögerlich aus, so, als könne er sich nicht recht dazu entschließen, wirklich in den See hineinzuwaten.
Noch einmal schlüpften Rudi und ich unter der Brücke hindurch, zurück ins Obertrumer Meer. In der Nähe der Wartstein-Kapelle war ein Baum ins Wasser gestürzt, Äste verwirrten sich am Ufer, und so sah die kleine, dicht bewaldete Landspitze aus, als hätte dort ein riesiger Biber seinen Bau zusammengeschoben, als ziehe er dort seine Jungen auf, die bald hinausschwimmen würden in die menschenleer gewordene Welt, um eigene Nester anzulegen und sich über den Waller- und den Mondsee bis ins oberste Salzkammergut zu verbreiten und über die Salzach und die Donau ins überschwemmte Wien. Niemand würde die Biber daran hindern, Österreich zu übernehmen, denn fast alle Menschen hatten sich vor dem Hochwasser nicht nur auf die Hügel, sondern auf die Dreitausender zurückgezogen. Die Wellen begannen auszuapern, was der Klimawandel von der Pasterze übriggelassen hatte, und auf dem Glocknergipfel saß der Bundespräsident und telefonierte mit den verbliebenen Einsatzkräften.
Kein Zweifel, der Mönch, Rudi und ich waren die einzigen Überlebenden im Salzburger Seenland. So hoch stand das Nass, dass uns die Schilfquasten die Nasen pinselten, als wir wieder das Obertrumer Ufer erreichten. Jemand hatte die Frischhaltefolie von der Wasserwiese gezogen; nun war sie ein Flokati-Teppich, der feuchtsatt bis zum Rand des Skaterparks sich streckte. Zwei Buben ließen sich von den Betonwellen, an denen wir am Morgen die Boote vorbeigetragen hatten, hin- und herwerfen. Als sie uns herankommen sahen, surften sie flott auf den Rand der Asphaltfläche zu und lachten herzlich dabei: „Bootfahren auf der Wiese! So kann man es auch machen!“, rief der eine, und da wussten Rudi und ich, dass in Obertrum noch Menschen lebten. Mattsee war noch an seinem Platz, der Bademantelmensch glaubte nicht an Buddha, sondern an Österreich, und durch die Hofburg schwamm kein einziger Biber.
Erleichtert hoben wir die Boote aus unserer schwankend-nassen Welt zurück auf festen Grund. Ein wenig Wasser tropfte noch von ihren Kielen, während wir sie auf dem Autodach festbanden. Dann waren wir endgültig zurück im Trockenen.
christian lorenz müller
auftragswerk des buzz'25
Erster Satz: Alegretto vivace
Es war einmal ein Fisch, der wohnte im Angerbach. Auf seinem silberschuppigen Leib hatte er hundert kleine Augen, mit denen er aufmerksam ins Nasse schaute. Ganz oben, beim Wildkar, ruhte sich das Wasser nach seinem Sturz über die Kaskaden in kleinen Gumpen aus. Grün lag es im Sonnenlicht, das durch die Baumwipfel schrägte, und über dem Wasser war etwas Zuckiges, waren viele winzige Schatten. Ein kräftiger Schlag mit dem Schwanz nur, und der Fisch schnellte hinauf in die Luft und schnappte die Mücken, die Fliegen.
Etwas unterhalb der Fälle gab es ein kleines Kehrwasser mit einem Grund aus leuchtendem Kies. Es machte dem Fisch Vergnügen, mit leicht schlagender Flosse Ausschau nach einer Bewegung zu halten, die nicht spiralig der Strömung folgte, sondern seltsam ruckig war und quer. Er wusste, dass die Kieskörnchen, Holzstückchen oder Blätterfetzen, die gegen das Wasser wanderten, zum Mantel einer Köcherfliegenlarve gehörten. Es machte dem Fisch keine Mühe, sie aus ihrem Panzer zu brechen.
Nach dem Kehrwasser gluckste der Bach von einem großen Stein zum anderen, er muskelte sich zu kleinen Wirbeln, kleinen Schwällen. Oft spielte der Fisch diese drei Dutzend Meter hinab, ohne der Krebschen zu achten, die aus ihren Ritzen krochen, ohne sich um die Schnecken zu kümmern, die sich durch ihre Langsamkeit vom Wasser schieden. Der Fisch spielte den Bach hinab, bis aus dem Glucksen ein Rauschen wurde, bis er merkte, dass der Bach mit Macht an ihm zu ziehen begann. Heftig schwanzschlagend arbeitete er sich dann wieder stromauf, denn hinter ihm war eine scharfe Kante, die er einmal aus Neugier mit seiner Flosse berührt hatte. Jenseits dieser Kante gab es kein Wasser mehr, dort endete die Welt, dort waren Tod und Verderben.
Zweiter Satz: Andante
Immer mied der Fisch diese Kante, er mied das Verderben. Doch eines Sommers rauschte der Regen viele Tage lang auf den Wald, er wusch die Erde von den Wurzeln und spülte sie in den Bach, der darüber trüb und immer trüber wurde. Immer wilder sprang er zu Tal, immer mehr Mühe kostete es den Fisch, sich auf der Stelle zu halten. Schließlich warf der Bach sich aus seinem Bett, er spie so lange Schlamm und Geröll gegen den Leib des Fisches, bis all seine Augen blind waren. Splittriges Astwerk kratzte über den Grund, große Seine grollten und krachten in Richtung Kante, und der Fisch schlug verzweifelt seinen Schwanz hin und her, er war wirr und wurde schwächer und schwächer, weil es keine Gumpe mehr gab und kein Kehrwasser, nur noch ein Wirbeln und Wallen und Tosen gab es. Und hinter ihm war das das Ende der Welt, und so kämpfte er mit seiner ganzen Kraft gegen das Geifern und Schäumen des Bachs. Doch es war vergebens. Die Strömung sog ihn über die Kante und er stürzte in das Nichts hinab.
Dritter Satz: Scherzo (Presto)
Der Fisch stürzte hinein ins Nichts. Er wurde geschleudert und gegen Gefels geschlagen, es wirbelte ihn in tosende Tiefen, es schlug ihn gegen kreuz wie quer geworfene Stämme, und dann riss es plötzlich nicht länger an ihm, dann war eine dunstige, nie gekannte Ruhe um seine Schuppen. Er schwebte inmitten von zahllosen Schatten, die seine Seiten streiften. Angststarr wartete er, er wartete auf den Tod, der bald seine dunkle Flosse heben würde. Aber nichts geschah. Irgendwann merkte der Fisch, dass die Trübnis so trüb nicht war, dass dumpfes Licht von oben auf seine Augen fiel. Und er fühlte, dass er nicht im Nichts, sondern im Wasser schwebte, in einem Wasser, das ihn so zart umzog wie er es nie gekannt hatte in seinem Bach. Zögerlich zuckte er mit dem Schwanz und geriet sogleich in einen der Schatten, der sich weich um ihn schlang. Schleim verglitschte ihm die Sicht, er schlug panisch mit der Flosse und kam frei. Die Schatten rückten von ihm ab, und über ihm wurde es hell und immer heller. Er stieg nach oben, bis seine Rückenflosse in der Luft war und blickte sich um: So weit seine hundert Augen reichten, waren kein Stein und kein Schotter, kein Ufer, kein Grund zu sehen, es gab nur Wasser. Er begriff, dass er in eine riesige Gumpe geraten war oder in ein unendliches Kehrwasser oder in einen Bach, der alles Land überschwemmt hatte. Froh fuhr seine Flosse hin und her. Wasser strömte durch seine Kiemen, die ihm Sauerstoff entzogen und Zuversicht.
Vierter Satz: Thema mit Variationen (Alegretto)
Voller Neugier erkundete der Fisch die große Gumpe. Bald schon fand er heraus, dass sie Ufer hatte, wenn auch gänzlich andere als sein Bach. Stängel an Stängel stand dort ein schütterer Wald im flachen Wasser, und auch die glitschigen Schatten, die ihn anfangs so erschreckt hatten, waren nichts anderes als schwache Bäume, die ganz im Nassen wuchsen. Wasser und Land waren nicht voneinander geschieden; sie versumpften sich ineinander, verschlammten sich und sanken dann sachte zu einem dunklen Grund hinab, wo ein seltsames Wesen wohnte. Es war schuppig und flossig und hatte Kiemen, aber es war gewiss kein Fisch, denn Fische hatten hundert Augen und einen Silberschiller, wenn die Sonne auf sie fiel. Doch dieses Wesen wohnte im Schlamm, es war von stumpfem Grau und stülpte seinen großen runden Mund über Schnecken und Würmer, statt eine der Larven zu jagen, die zahllos im Wasser trieben. Von diesem Mund hingen zwei hässliche Fäden herab. Einmal, als der Fisch dem Wesen zu nahe kam, blickte es ihn dämmrig an und sagte: „Ei, was bist du für ein seltsam schlanker Geselle? Was wischst du stets so ruhelos an mir vorbei? Wieso brauchst du hundert Augen, wo zwei doch völlig genügen? Wo sind deine Barteln?“
„Barteln? Was sind Barteln?“, fragte der Fisch, und das Wesen erklärte ihm, dass es mit seinen Mundfäden im Schlamm nach Beute taste. Und dann sagte das seltsame Tier: „Zuerst dachte ich mir, du seist kein Fisch, aber nun dünkt mich, dass es anders ist. Ich hörte einst von Forellen, die in Gewässern leben, die schmal und klar sind und immerzu springen. Auch du bist schmal und hüpfst immerzu durch das Wasser. Sag mir, bist du eine Forelle?“
Der Fisch wusste nicht, was er antworten sollte, denn noch nie hatte ihn jemand Derartiges gefragt. Verwirrt schoss er von dannen, er wollte mit dem Wesen nichts zu tun haben, kehrte aber doch bald zu ihm zurück.
„Du bist also auch ein Fisch“, sagte er kleinlaut zu dem grundelnden Tier. „Wie ist dein Name?“
„Karpfen“, sagte das Wesen. „Sag mir, Forelle, wie ist es, in einem Bach zu leben? Wie kann es sein, dass man existieren kann ganz ohne Schlamm?“
Der Fisch erzählte es, und der Karpfen wollte es nicht glauben. „Wasser, das ständig fließt und dir nie Ruhe lässt. Wahrlich, was für eine seltsame Welt!“
„Nicht der Bach ist seltsam, diese Schlammgumpe ist es!“, rief die Forelle, und die beiden lachten ihr Fischlachen, indem sie ihre Kiemendeckel flattern ließen.
Fünfter Satz: Finale (Allegro giusto)
Der beiden Fische wurden Freunde. Aber irgendwann wanderte die Trübnis des Wassers der Forelle bis in die Seele. Sie sehnte sich nach ihrem Bach zurück.
„Schwimme immer am Schilfufer entlang“, riet ihr der Karpfen. „Dort gibt es eine Stelle, wo kaltes, klares Wasser hereinströmt. Vielleicht ist dort dein Bach und sucht nach dir.“ Der Karpfen flosste sich für einen Augenblick frei vom Schlamm. Mächtig stand sein Schuppenkörper neben der Forelle. „Viel Glück!“, sprach er.
„Dir wünsche ich ein langes Leben mit Schnecken und Schilf“, sagte die Forelle zum Abschied und zuckte davon.
Es war, wie der Karpfen gesagt hatte: Etwas Kaltes ergoss sich ins Geschilf, dem die Forelle mutig entgegenschwamm. Die Ufer rückten näher und näher und wurden fester; das Wasser begann, sich der Forelle zu widersetzen, aber das entmutigte sie nicht. Sie hatte ja ihre hundert Augen, mit der sie alle Steine, alle Felsen sehen konnte und den Kies auf dem Grund. Freudig warf sie sich dem Sprudeln und Schäumen entgegen, sprang über Felsbrocken und fühlte, dass ihr Kehrwasser nicht mehr fern war. Aber davor kam ja die scharfe Kante, kam die Stelle, an der früher das Nichts gewesen war und wo – wie sie nun wusste – eine ganze Welt begann.
Schließlich sah sie etwas vor sich ragen, es war so steil und glatt, dass kein Fisch derLucida Bright Welt sich daran hinaufzappeln konnte. Und dennoch versuchte es die Forelle. Mit aller Kraft schnellte sie in die Höhe, sie flog durch die Luft und es gelang: Klatschend landete sie direkt hinter der Kante. Ein Schwanzschlag noch, und sie war zurück in den Strudeln und Schwällen, die sie so gut kannte. Klarheit durcheilte ihre Kiemen, Klarheit und Glück, als sie wieder im Kehrwasser stand und auf den Kies hinunterblickte, in dem die Köcherfliegenlarven ruckten.
Sie wusste nun: Hundert Augen hatte nur sie allein, sie war eine Forelle. Ausgerechnet ihr Freund mit dem dämmrigen Blick, der Karpfen, hatte es gewusst.